Bild2Eine Geschichte über Helga Unger

Mit grünen Gummistiefeln steht Helga im Allmende-Kontor, einer urbanen Gartenanlage am Rande des alten Flughafen Tempelhof. Sie beugt sich zum Wasserhahn, um eine ihrer beiden grünen Gießkannen mit Wasser zu füllen. Wasser schwappt aus der kleineren, weil Helga sie mit ihrem Fuß fast umstößt. Die zierliche Frau mit blonden Haaren hilft ihren Freunden Paule und Susanne bei der Gartenarbeit. „Wir haben uns vor 12 Jahren in unserer Stammpizzeria am Körnerpark kennengelernt“, sagt Helga.

Luckau in Brandenburg ist ihre Heimat. Dort war sie Lehrerin an einer Förderschule, kümmerte sich auch um einen Autisten. „Der arbeitet jetzt in einer Behindertenwerkstatt, sagt Helga stolz: „Ich habe ihn von der Kita an begleitet.“ Helga erzählt diese Geschichte, weil sie gefragt wurde, welche besonderen Dinge sie in ihrem Leben erlebt hat. Anderen zu helfen – es scheint in dem Moment, als wäre das Helgas Lebenssinn. Sie wirkt nachdenklich. 

Fast 40 Jahre arbeitete die 62-Jährige als Lehrerin für die Fächer Kunst und Deutsch. Sie pendelte zwölf Jahre zwischen der Hauptstadt und Luckau. Vor einem Jahr hat sie sich dann in den Ruhestand zurückgezogen. Doch zu viel Ruhe hat Helga nicht in Berlin: „Es gibt viele tolle Sachen, die man machen kann!“ Sie interessiere sich für Bücher von T. C. Boyle oder gehe gerne ins Theater, sagt sie. Während Helga grübelnd ihr Kinn hält, kümmern sich Paule und Susanne um ihren Garten. Helga dreht sich immer wieder nervös um, sie will ihre Freunde beim Arbeiten nicht im Stich lassen.

Danach wollen die drei schließlich noch essen gehen. Sie gehen zum Griechen: „Unsere Pizzeria gibt es ja nicht mehr“, sagt Paule pragmatisch. Susanne erklärt, dass sie Helga nach ihrem Kennenlernen in der Pizzeria ein Kärtchen geschickt haben. „ Mensch, die war ja nett , habe ich damals zu Paule gesagt.“ Danach haben sich das Ehepaar und die gebürtige Brandenburgerin nie aus den Augen verloren. Susanne ist eine kleine kräftige Frau mit braunen Haaren und großen runden Augen. Paule ist von der Größe das passende Gegenstück zu Susanne: Er hat graue Haare, wirkt groß und schlaksig. Susanne hatte Helga damals angesprochen: „Weil Paule meist die Schnauze hält!“, ruft Susanne. Die drei lachen. 

Zusammen verbindet sie ihre Liebe zum Stadtteil Neukölln: „Alles ist ein bisschen krumm und schief – so wie das Leben!“ Die Arbeit als Lehrerin merkt man der Frau an dieser Stelle an. Es wirkt so, als wolle sie weitsichtig vom Leben berichten, als wolle sie mit einem pädagogischen Fingerzeig die Welt erklären und zeigen, wie man sie besser macht. Wie sie es selbst mit ihren Freunden tut: Sie sammeln Unterschriften, beteiligen sich an Aktionen und laufen bei Demonstrationen mit. Auch als es um die Bebauung des alten Flughafen Tempelhof ging, zeigen sie ihr Engagement für das beliebte Areal. Sie gestalten Neukölln – und Berlin.

„Es ist nicht alles glatt!“, weiß Helga. Sie schlägt ihre Hände hinter ihrem Rücken zusammen. Das Allmende-Kontor steht symbolisch für die „Tempelhofer Freiheit“: Fertig-Gartenhäuschen aus Holz sucht man hier vergeblich. Die Zäune wirken mit zusammen genagelten Holzbrettern und Blumentöpfen provisorisch. Klappstühle ergänzen das Bild des schief gewachsenen Idylls: offen und revolutionär. Ein Bild, das viel über Helga und ihren Freunde aussagt. Sie lebt allein in ihrer Wohnung, ist geschieden. „Aber das ist schon gar nicht mehr wichtig“, gibt sie lachend zu. Zwei Kinder hat Helga. 

Die schönen Momente sind nicht die großen, sondern die kleinen Dinge.

„Der Autist“, sagt sie, „war in der Rechtschreibung immer besser als ich.“ Sie erklärt, dass Autisten immer eine Sache besonders gut können und dafür in ihrer „eigenen Welt leben.“ Es ist wieder einer von diesen Augenblicken, in denen Helga nicht leugnen kann, dass sie Lehrerin war: Durch ihre rote auffällige Brille schauen neugierige Augen. Als wollen sie fragen, ob man das verstanden hat. 

Dunkle Wolken ziehen über dem Allmende-Kontor auf. Die vielen Hobbygärtner räumen ihre Mistgabeln und Schippen weg. Auch Helga hat ihre Gießkannen im Fahrradkorb verstaut. „ So – jetzt ist S-C-H-L-U-S-S , würde der Autist jetzt sagen.“ Ein letzte Weisheit gibt sie dann aber doch noch mit auf den Weg: „Die schönen Momente sind nicht die großen, sondern die kleinen Dinge.“ Susanne kneift zum Abschied ihre Kulleraugen zusammen und streckt ihre Zunge heraus. Das war so ein Moment.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar