Die lauteste Platte Berlins

Schon von Weitem hört man ein wildes Gitarrenriff und das rhythmische Dröhnen der Schlagzeuge mitten zwischen den Marzahner Plattenbauten auf der Landsberger Allee. Der melodische Krach dringt aus den heruntergekommenen Fenstern der selbsternannten lautesten Platte der Stadt Berlin. Weitab von den bekannten Szenevierteln steht das ORWOhaus mit hundert Proberäumen für Musiker aus allen Richtungen offen.

ORWOhaus

Im schummrigen Licht der Kneipe des Hauses bedient die junge Mutter Liliana Dreve auf ehrenamtlicher Basis. Liliana ist Schlagzeugerin einer Heavy Metal-Band und arbeitet hier gerne unentgeltlich, weil sie die kreative Platte jeden Tag besucht, um ihre Freunde zu treffen oder zu proben. Vor allem von der einzigartigen Atmosphäre ist Liliana begeistert: „Hier ist alles kulturell sehr offen. Ich habe selten einen Ort kennengelernt, an dem die Leute so freundlich aufeinander zugehen, egal, wie sie aussehen und was sie machen. Wir haben uns einen Mikrokosmos mit familiärem Ambiente geschaffen.“ In ihrem gemütlich gestalteten Proberaum mit einer bunten Sofaecke fühlt die Musikerin sich wie zu Hause. Sie ist froh, dass sie hier einen Platz für ihr kreatives Schaffen gefunden hat, denn aufgrund der enorm günstigen Mietpreise ist das ORWOhaus bei der Musikszene Berlins hoch begehrt: Bis zu zwei Jahre müssen die Bands auf einen Raum warten.

Die Innenwände des ORWOhaus wurden von Grafitti-Künstlern bunt geschmückt.

Auch der Senat weiß, dass die Mietpreise in der Stadt für kreative Projekte oft viel zu hoch sind, wie der Pressesprecher der Kulturverwaltung, Torsten Wöhlert, bestätigt: „Wenn man sich in der Musikszene umhört, dann sind günstige Proberäume in Berlin so selten wie Goldstaub. Deshalb ist das ORWOhaus wichtig für die Stadt: Es bietet billige Flächen und ist trotz der etwas abseitigen Lage gut erreichbar. Wenn es das nicht geben würde, müsste man es erfinden!“ Generell verfolge der Senat zurzeit die Linie, die eigenen Liegenschaften zu günstigen Konditionen als künstlerischen oder sozialen Raum zur Verfügung zu stellen, um eine langfristige Investition in die Kreativwirtschaft zu sichern, so Wöhlert. Die Mithilfe des Senats spielte auch bei der Entstehung des ORWOhauses eine wichtige Rolle. Er vermittelte 2004 mit der Treuhandliegenschaftsgesellschaft. Die damalige Besitzerin des Gebäudes wollte den Musikern den Mietvertarg kündigen, da der Brandschutz im Gebäude nicht gewährleistet war. Durch die aufgenommenen Vermittlungen hatten die Bands Zeit, um sich in einem Verein zusammenzuschließen und einen Finanzierungsplan vorzulegen.

Liliana spielt nicht nur gerne Schlagzeug im ORWOhaus, sie hat dort auch eine zweite Familie gefunden.
Liliana spielt nicht nur gerne Schlagzeug im ORWOhaus, sie hat dort auch eine zweite Familie gefunden.

Lottomittel des Landes Berlin ermöglichten schließlich die Sanierung des Plattenbaus. Der Verein des Musikerhauses konnte schließlich den Kaufvertrag mit der TLG unterschreiben, verwaltet das Projekt mittels eines gewählten Vorstandes bis heute erfolgreich, und organisiert Jam-Sessions sowie ein alljährliches Festival. Unter den vielen Hobbymusikern, die in der lauten Platte proben, finden sich auch einige bekannte Gruppen, wie die Ohrbooten oder Die Happy. Thorsten Mewes, der Gittarist der Band Die Happy, kritisiert die Hellhörigkeit des ORWOhauses: „Wenn viel los ist, kann man sich wirklich schlecht konzentrieren.“ Trotzdem bewertet er das Haus als praktikabel, da es rund um die Uhr für Musiker aus allen Richtungen geöffnet ist und somit in der Szene als ein Platz des Austauschs angesehen wird. Das ORWOhaus gilt als einzigartiger Sozialisierungspunkt für kreative Köpfe in der Region und wird auch in Zukunft wesentlich zur Förderung der bunten Berliner Musikszene beitragen.

Bei den Jamsessions feiern die Stammgäste im ORWO ihr Haus und ihr musikalisches Projekt.
Bei den Jamsessions feiern die Stammgäste im ORWO ihr Haus und ihr musikalisches Projekt.