Du kommst hier nicht rein!

Jeder kennt die Situation

„Du willst hier rein? Kauf dir mal vorher lieber nen Spiegel!“ Die Türsteherin war heute wieder offenbar voll auf Sendung, nur auf welcher sie war, das hatte sie anscheinend selber noch nicht verstanden. Jedenfalls passte mein Freund in ihren Film nicht rein, das machte sie ihm unmissverständlich klar. Ihre Pupillen sprangen uns an, sie tanzten vor uns einen wilden Samba, aber ihr Mund war vor Hass verzerrt. Es mag ja durchaus sinnvoll sein, wenn ein von Paranoia und Schizophrenie geplagtes Individuum wie diese kleine Frau ihre Wut auf die Gesellschaft ausleben kann und sie nicht schlucken muss. Aber muss man denn immer ausgerechnet diese Art von Menschen vor die Türen des Berliner Nachtlebens stellen? Ist solch eine Konfrontationstherapie ein integraler Bestandteil der Generation, die so hip ist, dass sie nicht einmal mehr weiß, warum?

Das Bangen vor dem breiten Türsteher: „Ob ich seinem Anforderungsprofil entspreche?"
Das Bangen vor dem breiten Türsteher: „Ob ich seinem Anforderungsprofil entspreche?“

Niemand von uns würde behaupten, dass diese Türsituation ihm ausgesprochen gut gefällt. Doch dabei sind wir zu uns nicht ganz ehrlich. Denn für uns mit unseren schrankenlosen Möglichkeiten, mit unserer Mobilität und Freiheit, mit unserem von der Generation der Baby-Boomer frisch gefüllten Portemonnaie, für uns kann nur noch eines sexy und anziehend sein: die Abweisung. Es gibt eine letzte Grenze, die in unserem Leben gesteckt werden kann, und sie befindet sich vor den Türen verrauchter Nachtlokale. Wir fühlen uns vermutlich so, wie damals vor der verschlossenen Tür des elterlichen Schlafzimmers. Beschämt und ängstlich, und zugleich gespannt bis auf die Netzhaut.

Noch ein anderes niederes Gefühl treibt uns in die Schlange der feierwütigen Masochisten. Natürlich gibt es keinen gewaltigeren Egopush als die Gewissheit des Erwählt-Seins. Uns beherrscht das Bewusstsein, dass nicht jeder diese goldene Pforte passiert, dieses Tor zu den Leidenschaften des Rausches. So erwischte auch ich mich beim Anblick meines Freundes, der sich eben in den Pupillen jener Irren gespiegelt sah, bei dem unreflektierten Gedanken: ‚Aber ich wäre reingekommen!’

Doch die Dynamik dieses modernen Machtspielchens entfaltet sich nicht durch mich, sondern  durch die psychologische Konstitution des Türwächters. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an die Türparabel Kafkas, in der ein alter Mann vor der Tür wartet und vom Türwächter nicht hinein gelassen wird, bis er davor stirbt. Natürlich hoffen wir alle, nicht vor der Tür des Sisyphos an unserer Sinnlosigkeit zu verenden. Betrachten wir jedoch die vielen totgeschlagenen Stunden, die wir in einer Menschenschlange verbracht haben, trifft die Parabel uns alle mitten ins Herz. In unserer Hilflosigkeit sind wir dieser Macht dort an der Pforte ausgesetzt und verbringen das Leben mit Warten. Doch welche Art von Menschen entscheidet sich freiwillig dazu, Teil dieser Macht zu sein und die Wartenden immer wieder abzuweisen? Sind es am Ende nicht dieselben Machtmenschen, die wir in unserer hippen Szene so verachten, weil sie in ihrer Arroganz politische Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg treffen? Wo ist sie, die gerechte Türpolitik – ich konnte sie in den letzten Jahren noch nirgendwo finden.

Was Rousseau wohl sagen würde, würde man ihn in die Feiermeute eines Kater Holzig stellen – wenn man ihn denn hineinließe.

Betrachten wir die Situation doch so objektiv und nüchtern, wie es uns möglich ist: Da ist ein abgesperrtes Gelände im Privatbesitz, und davor häufen sich die Menschenmassen in der Hoffnung auf Einlass. Manche kommen rein, andere wieder nicht. Die Entscheidung wird von irgendjemandem nach vollkommen willkürlichen Kriterien gefällt. In der Absurdität und Beliebigkeit dieser Situation fühle ich mich an die Theorie Rousseaus erinnert. Rousseau behauptete, die Verfallsgeschichte der Menschheit begann just in dem Moment, in dem der Erste ein Gebiet um sich herum einzäunte, um dann frech zu proklamieren: „Das ist jetzt meins!“ Und das war nur der Anfang. Lächeln muss ich bei dem Gedanken, was Rousseau wohl sagen würde, würde man ihn in die Feiermeute eines Kater Holzig stellen – wenn man ihn denn hineinließe. Die Dekadenz unseres Verfalls hat hier wohl ihren Höhepunkt gefunden.

Nach all diesen hier aufgeführten gedanklichen Windungen möchte man wohl meinen, ich hätte die Schnauze voll vom Feiern. Aber schon am nächsten Tag ertappe ich mich wieder beim Schlangestehen vor irgendeiner Tür – dieses Mal ohne meinen gescheiterten Freund.


Kommentare

7 Antworten zu „Du kommst hier nicht rein!“

  1. Rakk Flaxus

    Man darf aber auch nicht vergessen, dass in einer immer überlaufeneren Stadt solche Kontrollen unerlässlich sind (auch wenn ohne Zweifel die zelebrierte "Exklusvität" mehr als absurde Züge annimmt). Zieht man einen Laden für alle auf – was theoretisch wünschenswert ist – kommt am Ende so etwas wie das Gretchen dabei raus und man kriegt fast Tränen in den Augen, wenn man beobachtet, wie sich fähige Musiker vor einem Abiball-Publikum auf erster Alkoholüberdosis abmühen. Schade, dass das so ist, aber wir sind halt nicht mehr in den 90ern…

  2. Du hast recht: Selektion ist unerlässlich! Der Türsteher hat schon einen schwierigen Job – besonders bei der hohen Anzahl an Feierleuten (vor allem in Berlin), die um Einlass bitten. Die Frage ist doch, wie eine fairere Türpolitik aussehen könnte? Reicht es, Alkoholleichen draußen zu lassen?

  3. Lea Verstl

    Der Artikel ist natürlich auch mit Absicht satirisch und überspitzt formuliert… ein bisschen Provokation kann ja nicht schaden. Und natürlich bin ich nicht der Meinung, dass es ausnahmslos Idioten an der Tür gibt. Aber neben dem Wer (und es gibt genug Clubs, die gezielt alle Arten von Leichen als Stammpublikum betrachten) ist auch das Wie der Türpolitik entscheidend, denn zumindest beim Feiern hoffen wir doch alle auf ein humanes und geselliges Miteinander. Auch wenn wir alle vielleicht gerne Teil dieser Szene sind, sollten wir kritisch bleiben…

  4. mynameispanic@gmail.com'
    Rnó Nymis

    Gerechte Türpolitik gibt es zum Bleistift im Suicide Circus, die haben die nettesten Türsteher, die ich je kennen gelernt habe. Wenn man immer nur in die Hipsterschuppen a la Kater und Sisyphos tingelt, von denen man sogar weiß, dass dort eine Türpolitik herrscht, die Kaiser Nero gefallen hätte, dann steht man halt auf diesen Masochismus. Ich gehe da aus Prinzip nie wieder hin, weil das Publikum dort aus den größten Egospasten und Druffis besteht, die man in Berlin finden kann. Wer dort ständig hingeht sollte echt mal hinterfragen, ob der ganze Narzissmus wirklich sein muss.

  5. Vielen Dank für deinen Kommentar! Ich glaube, dass Masochismus und Narzissmus immer zum Feiern gehören, ob man nun in den Suicide Circus geht oder in den Kater. Denn überall, wo es eine Tür gibt, herrscht auch Politik. Genau das wollte ich mit diesem sarkastischen und selbstironischen Kommentar auch zeigen, ich nehme mich als Autorin da nicht heraus. Wenn wir zu uns ehrlich sind, wollen wir eben nicht mit irgendjemandem in die nächtliche Ekstase abschweifen, deshalb würden Oma Gerda und der Obdachlose von der Brücke nebenan eben nicht in unsere favorisierten Clubs kommen. Du hast natürlich recht, es gibt graduelle Unterschiede in der Härte der Türpolitik und die Jungs vor dem Suicide Circus sind wirklich wahnsinnig nett!

  6. konstantin.kulitschka@gmail.com'
    konstantin

    „wollen wir nicht mit irgendjemandem in die nächtliche Ekstase abschweifen“

    „deshalb würden Oma Gerda und der Obdachlose von der Brücke nebenan eben nicht in unsere favorisierten Clubs kommen“

    OH MAN!

    ich würde lieber mit oma gerda und dem obdachlosen da einen plausch halten und zwei bier trinken wie mit dir.
    dann bade bitte weiter in deiner suppe.
    = ziemlich eklig deine attitüte