Bevor die Trauerfeier beginnt, trifft Richard Mitschke die letzten Vorbereitungen. Ein altes Handtuch hat er zwei Mal um Freddie gewickelt. Er liegt aufgebahrt auf einem improvisierten Altar: ein Tisch, auf dem eine Plastikdecke gezogen wurde. Darauf versuchen zwei schwarze Trauerbänder und künstliche Blumen die Stimmung vergeblich angenehmer zu machen.
18 Jahre alt ist der Kater geworden.
Seit 2007 betreibt der 68-jährige Richard Mitschke zusammen mit seiner Ehefrau Karin den „Bärliner Tierfriedhof“. Die meisten der rund 1300 Tiere, die unter der Erde der ungewöhnlichen Ruhestätte liegen, seien Hunde oder Katzen, sagt Richard. Zum Interview sitzen wir in der Trauerhalle des Friedhofs, einem Gartenhäuschen aus Holz. An den Wänden erinnern Katzen-Plakate aus der „Medizini“, der Apotheken Umschau für Kinder, an damalige Besuche beim Kinderarzt. Richard hat sich Mühe gegeben, den Raum liebevoll zu gestalten. „Tieren kann man alles erzählen“, sagt er. Auch wenn sein Terminplan besonders an Samstagen gut gefüllt sei, hat sich Richard einen kurzen Moment Zeit genommen. Er verbringt oft ganze Wochenenden hier draußen im Südwesten von Berlin, in Steglitz. Und das obwohl der Rentner nach eigenen Angaben nicht von der Arbeit leben kann. „Der Friedhof arbeitet gerade so kostendeckend“, erzählt er.
Die Beerdigung von Freddie geht gleich los. Hektisch werden wir von Richard nach draußen gebeten, denn vor der Tür wartet bereits eine komplett in Schwarz gekleidete Frau, vielleicht Anfang 60. Ihre Hand wird von einer viel jüngeren Frau gehalten, die ihre Tochter sein könnte. Nachdem sie sich auf einen der beiden Küchenstühle, die vor Freddies Kadaver stehen, gesetzt hat, schließt Richard die Tür. Eine unheimliche Stille überzieht den Friedhof. Im Hintergrund wechseln sich die Geräusche der sich ins Erdreich bohrenden Grabschippen ab.
Nachdem die Trauerzeremonie vorbei ist, läuft Richard mit kleinen, behäbigen Schritten auf das Grab des toten Katers zu. Die Frau holt ein paar Blumenblätter aus einer Plastiktüte, streut sie über dem offenen Grab aus und nimmt eine Handvoll Sand aus einer Metallschüssel, die neben dem Erdloch steht. Dreimal prasseln Sandkörner auf Freddie ein, ehe die grauhaarige Frau Richard mit einem Handzeichen symbolisiert, dass sie nun bereit sei. Bereit für den Abschied. Richard tritt näher und verbeugt sich kurz vor dem Leben von Freddie. Auch an einem Friedhofsverwalter mit 30 Jahren Berufserfahrung scheint eine Beerdigung nicht spurlos vorbeizugehen. Nach einem Moment der Ruhe nimmt er seine Hände aus dem hellgrünen Parka und haut mit der Schippe in den Sandboden. Minute für Minute verschwindet Freddies Körper zusammen mit dem Handtuch unter der Erde.
Richard weiß, wie es sich anfühlt, ein Haustier zu verlieren. Seitdem im Jahr 2012 Dobermann Raven gestorben ist wollen er und seine Familie trauernden Tierhaltern beistehen und ihnen einen Raum für ihren Schmerz geben. Wie auf jedem gewöhnlichen Friedhof wird der Tod auch auf dem Tierfriedhof mit Symbolen stilisiert. Doch irgendetwas ist anders an diesem Ort.
Ein Ort, der sich hinter unscheinbarem Maschendrahtzaun verbirgt: Es ist wie ein buntes Meer an Kerzen, Kreuzen und Kuscheltieren. Sie sollen trauernden Tierbesitzern helfen, über den Verlust ihrer zumeist kuscheligen Freunde hinwegzukommen. Das Gelände des Tierfriedhofs ist umgeben von einer normalen Ruhestätte für Menschen – ein Bild, das zwei verschiedene Trauerkulturen zeigt: Während sich die Toten nebenan zwischen körpergroßen Hecken ins triste Stillleben einreihen, wird auf dem Tierfriedhof dem Leben mit einer bunten Hommage an die Vergänglichkeit gedacht. In Kitsch gehüllt trägt hier jedes Grab seine eigene Geschichte. Es sind die bebilderten Geschichten der Leben von Dackeldame Daisy oder Tarantel Nina. Nicht zu vergessen Vielflieger wie Wellensittich Hansi. Richard erzählt von einer Spanierin, die hier ihre tote Maus beerdigen ließ. Trotz der weiten Anreise besuche sie einmal im Jahr das Grab des Tieres, sagt er.
Laut dem Statistischen Bundesamt leben 15 Millionen Haushalte in Deutschland mit Tieren zusammen – ein Beweis für den hohen Stellenwert unserer animalischen Wegbegleiter. Und das in Zeiten, in denen immer mehr Menschen alleine wohnen: „Wir brauchen jemanden zum Knuddeln!“, sagt Richard.
Wenn das Leben unserer Haustiere endet, müssen sie entsorgt werden – nicht wie im alten Ägypten, wo sogar Katzen mumifiziert wurden, aber zumindest moralisch korrekt.
Tierfriedhof: Unsere toten Tiere müssen entsorgt werden
Heute sieht das nämlich oft anders aus: Während auf dem Land die meisten Tiere von ihren Haltern auf dem eigenen Grundstück begraben werden, lebt man in Großstädten oft zur Miete, ohne eigenen Grund und Boden. Auch wenn es verboten ist, seine toten Tiere einfach in den Hausmüll zu werfen, ist nicht auszuschließen, dass einige Tierbesitzer wohlmöglich aus finanziellen Gründen diese Art der Entsorgung wählen. Dagegen gibt es vielerorts die kommunale Tierkörperbeseitigung. Gegen ein Entgelt kann man sein Tier dort abgeben – muss dann aber damit rechnen, dass der Kadaver zu Tiermehl oder Brennstoff weiterverarbeitet wird.
Für Tierliebhaber wie Christa ist das keine Option. Für zwei Jahre hat sie das Urnenbegräbnis ihrer Hauskatze Cindy auf dem Tierfriedhof gemietet. Sie will es verlängern, weil sie einen Platz braucht, an dem ihre Trauer Gehör findet.
Ihr Zuhörer: ein Grabstein auf dem Cindys Lebensdaten vermerkt sind. Geboren 1998, gestorben am 5. März 2011; an einem Samstag.
Das ist jetzt mehr als drei Jahre her. Doch noch immer hat Christa den Tod ihres Tieres nicht überwunden. Auch wenn sie weiß, dass Katze Cindy längst tot ist, scheint sie auf ein Zeichen ihrer toten Katze zu warten. Kein Miauen, kein Schnurren – der Stein bleibt stumm. „Man kann sich noch einmal verabschieden“, sagt Christa. Sie möchte unerkannt bleiben.
Cindy ist mit 19 Jahren an Leberkrebs gestorben.
Über eine Stunde berichtet Christa davon, wie sie und Cindy sich kennengelernt haben. Eigentlich sei die Hauskatze Christas Tochter zugelaufen. Nur zur Probe habe sie das Tier für ein paar Tage nehmen wollen. Doch wie so oft im Leben, sei es „Liebe auf den ersten Blick gewesen“, sagt sie. Ihre Augen nehmen ein Bad in Tränen. Ein Freund, der sie fast jeden Tag zum Friedhof fährt, reicht ihr ein Taschentuch. Christa holt mit einem Atemzug so viel Luft, dass man hört, wie sie sich überrannt von Gefühlen die Luft aus dem Zwerchfell pressen muss: „Sie war unser drittes Kind!“
Wer Christa, geschätzte 50 Jahre alt, zuhört, muss sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie hier über ihre Katze spricht. Über ihre Eltern, die nebenan begraben liegen, verliert die gestandene Frau nur wenige Worte.
„Schlaf schön“, murmelt Christa und legt ihre Hand auf den Grabstein, „Mama kommt ja morgen wieder.“ Christa will noch das Urnengrab ihrer Eltern besuchen. Es sollte nicht weniger als zehn Minuten dauern, bis sie wieder auf dem Gelände des Tierfriedhofs steht.
Dieser Artikel ist in der dritten Ausgabe des auf 1000 Stück limitierten DILEMMA-Magazins erschienen: Bestelle Dir Dein Exemplar hier im Kaufladen!