Die Berliner Morgenpost hatte sich den passenden Rahmen ausgesucht: Der Club Ritter Butzke im Herzen von Kreuzberg verwandelte sich am Dienstagabend vor 120 Zuschauern vom Dancefloor zum Podium. „Droht Berliner Clubs das Aus?“ – diese Frage hatte die Tageszeitung vorher etwas überspitzt gestellt. Wohlwissend, dass in den letzten Jahren nur wenige Clubs ihre Türen für immer schließen mussten. Vielmehr ging es jedoch um die Frage: Wie kann Berlin seine Club-Kultur trotz steigender Mieten und Beschwerden von Anwohnern erhalten, damit sie auch in Zukunft Motor und Anziehungspunkt für die Hauptstadt sein kann – ohne dabei aber ihren speziellen „Flair“ zu verlieren.
„Die Touristen kommen nicht wegen der Shoppingmalls“, meinte Sascha Disselkamp. Auch wenn an anderen Orten, wie beispielsweise dem nah am Kraftwerk Marzahn gelegenen Sisyphos, neue, gut-besuchte Lokalitäten entstehen, sieht der Betreiber des Sage-Clubs die typisch Berliner Szene in Gefahr. Der Grund: Die kreativen Räume in der Innenstadt werden immer knapper: „Nach Mitte und Prenzlauer Berg ist nun Friedrichshain dran“, glaubt Disselkamp. Er warf dem Senat vor, eine Politik zugunsten der Immobilienwirtschaft zu führen.
Clubs als Wirtschaftsmotor
Dass neben ihm Björn Böhning, immerhin Senatskanzleichef saß, kam da gerade recht. Wer nun erwartet hatte, dass es zum Kampf zweier völlig unterschiedlicher Parteien kommen würde, wurde jäh enttäuscht – arbeiten beide doch seit einiger Zeit eng zusammen: Böhning als Vorsitzender des Musicboards, einer vom Senat initiierten Vereinigung, die sich für den Erhalt der Popkultur, also auch der Clubs, einsetzt; und Disselkamp als Vorstand der Clubcommission, die die Interessen der Clubs vertritt. SPD-Politiker Böhning betonte, dass man bereits daran arbeite, in zukünftigen Stadtplanungen die Clublandschaft stärker mit einzubeziehen. So ist die Einführung eines sogenannten Club-Katasters bereits beschlossene Sache. Auf diesem sollen alle Clubs der Stadt aufgelistet werden, damit Investoren überhaupt wissen, dass sich in der Nähe ihres potentiellen Grundstücks Feierwütige zum Tanz treffen. Das hätten die zuständigen Behörden und Käufer in der Vergangenheit oft gar nicht gewusst, so Böhning.
Gleichsam offenbart diese Frage ein Dilemma: Wie kann sich Berlin verändern, ohne dabei aber seine teilweise jahrzehntelange Clubkultur zu zerstören? Die Politik hat jedenfalls – so scheint es – die Fehler der Vergangenheit erkannt. Sie will einen Dialog mit Investoren, Clubbetreibern und Anwohnern schaffen. Wohl auch deshalb, weil die Clubszene einen Großteil der Touristen anlockt, die für eine industriearme Stadt wie Berlin von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist. Ob das gelingen wird, ist zumindest fraglich. Unter anderem sorgt die rechtliche Situation dafür, dass Lärmbeschwerden einzelner Anwohner auch in Zukunft für eine Schließung sorgen könnten.
Für empörte Reaktionen sorgte die Aussage von Kristine Jaath, Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg für Bündnis 90/Die Grünen. Sie äußerte, dass die Clubkultur in direktem Zusammenhang mit Kriminalität und sogar Prosititution im Club und im Umfeld davon stehe. In der weiteren Diskussion wurde klar, dass Beweise für einen solchen Kausalzusammenhang fehlten. Leider wurde über mögliche Zukunftschancen der Clubszene kaum diskutiert. Die Aussichten zum Feiern innerhalb des S-Bahn-Rings sind schließlich düster. Das glaubt auch Aljoscha Hofmann. Studien würden belegen, dass durch die Gentrifizierung kaum noch Platz für kreative Projekte vorhanden sei, so der Stadtforscher.
In Zukunft wird sich die Lage wohl verschlechtern: Auf dem Gebiet, auf dem sich die Wilde Renate befindet, plant der Senat die Verlängerung der A 100. Disselkamp plädierte dafür, das Bauprojekt zu stoppen. Er erklärte DILEMMA-Chefredakteur Benjamin Köhler, der ebenfalls auf dem von Hajo Schumacher moderierten Podium mitdiskutierte: „Den kreativen Dschungel im Nachtleben, den ich in meiner Jugend in Berlin gefeiert habe, den wirst du nicht mehr erleben – der ist für immer verloren.“
Mitarbeit: LEA VERSTL