Liebe Trüffelschokolade,

ich schaue das Bild an, das wir von uns machen ließen. Damals, kurz bevor ich in den Zug stieg. Das Wochenende war schön. Wir waren bei Ralf, feierten den 1. Mai am Lagerfeuer. Molly, Julchen und du seid schon früher nach Hause gefahren. Wir blieben noch. Tranken selbstgemachten Apfelwein, rauchten Wunderzigaretten und starrten in den Himmel.

Irgendwann fuhren wir mit dem Rad nach Hause. Am morgen hast du Frühstück gemacht. Du wolltest, dass wir früh aufstehen. Doch wie immer war es schwer, uns aus dem Bett zu kriegen. Trotzdem hast du es immer wieder geschafft. Mit deinem Durchsetzungsvermögen, deinem Willen, deinem Mut.

Dann haben wir jenes Bild gemacht. Dieses, und noch ein paar andere. Ich weiß noch, wie ich in die Knie gegangen bin und du dich mit einem Arm auf mich gestützt hast. Das Foto liegt in meiner Mappe. Es ist verschwommen und zerknittert. Und doch liebe ich es so sehr.

Es hält einen besonderen Moment fest. Einen dieser Momente, die zeigen sollen, dass das Leben wertvoll ist. Dass es einzigartig ist. Und dass jeder noch so verschwommene Pixel es noch kostbarer macht als es sowieso schon ist.

Ich habe mir heute deine Lieblingsmusik angehört. Dann hab ich das Bild von dir genommen, das auf meiner Kommode steht. Gold eingerahmt, mit Engeln drauf. Ich drückte es fest an mich. Es war so als würde ich mit dir tanzen und dich in meinen Armen halten, während nebenbei die Musik den Takt vorgibt. Schnell, langsam. Schnell. Langsam. Plötzliche Stille.

In meinen Träumen spürte ich deine kurzen Arme, die versuchen wollten, mich zu umschlingen, aber es nicht schafften, weil du doch zu klein warst. Und du dich nicht mehr wie früher aufrichten konntest, seitdem deine Beine gebrochen waren und du in diesem Bett im Krankenhaus liegen musstest. Vier ganze Wochen lang. Wochen, in denen du fast täglich jede dieser Untersuchungen über dich ergehen lassen musstest.

Er kam. Er ging. Er kam. Er ging. Irgendwann nahm er dich mit. Das war heute vor vier Jahren. 21.50 Uhr. Sechs Jahre nagte er an dir. Du warst zu schwach. Als ich einen Tag davor in diesen Raum im Krankenhaus stand, in dem du auf einem Bett lagst, das auf der Kopfseite tiefer war, damit dein Gehirn besser durchblutet ist, spürte ich ihn. Er saß neben dir. Er wartete darauf, dich mit in sein Reich zu nehmen. 

Zwei Wochen später standen wir in einer kleinen Kappelle in unserer Heimatstadt. Unweit von unserem Haus, in dem wir lange wohnten. Es war kalt, bitterkalt. Unser Atem gefror. Sogar das Abschiedslied wollte der CD-Player nicht mehr spielen.

Und als deine Urne die Erde hinunter gelassen wurde, stand ich da, vor diesem Loch, das gerade einmal einen halben Meter tief war.

Mama, ich vermisse dich.

12544903_1278195815528137_816329273_o
Mama und ich am 2. Mai 2011. Acht Monate bevor sie starb