Wie aus Spenden Profit wird

Ich habe mir gerade erst den Schlaf aus den Augen gerieben. Schon sitze ich mit Kaffee und To-Do-Liste in der U-Bahn und fahre zur Arbeit. Aussteigen am Hackeschen Markt. Kein Problem – eigentlich. Kaum angekommen, nimmt das Dilemma seinen Lauf. Auch wenn Tiere sonst das liebste auf der Welt sind, der Tierschutzbund hat im Stress einfach keinen Platz. Und schon gar nicht zu dieser Tageszeit.

Au der Ferne höre ich E-Gitarrenklänge zu Leonard Cohens Halleluja. Die Morgensonne scheint durch die Äste einer alten Buche. Darunter: ein Stand mit dem Banner der UNO-Flüchtlingshilfe. „Hallo ich bin Rico. Und wie heisst du?“ Das Gespräch mit dem sogenannten Dialoger beginnt mit einem Händedruck. Nachdem Rico seinen Gegenüber mit Namen kennt, hat er keinerlei Zwänge privat von sich noch mehr zu berichten.

Er habe eine Vollzeitstelle und sei seit fünf Jahren in Deutschland, erklärt er. Damals sei er seinem Vater aus Afrika gefolgt. Aus welchen Gründen bleibt offen. Zum Plaudern ist er nicht hier. Er muss schließlich Geld einsammeln, um sich seine Provision zu verdienen. Rico zückt ein Ringbogenheft, mit dessen Hilfe er auf laminierten Tafeln erklärt, was die UNO Flüchtlingshilfe leistet.

Nicken, zuhören – es dauert nicht lange. Leider, denn an dieser Stelle endet das Gespräch. An mir wird Rico heute kein Geld verdienen. Denn ich unterschreibe den Spendenzettel nicht.

Entscheidend ist die eigene Entscheidung.Was zählt? Zählt es zu spenden?

In einheitlich auffallenden Jacken mit Namen und Logo ihrer „Kunden“ bemühen sich Dialoger um Kontaktaufnahme in Fußgängerzonen, an S-Bahnhöfen oder anderen öffentlichen Plätzen.
Der Zweck: Fundraising für die großen NGOʻs. Ob Amnesty, UNO Flüchtlingshilfe oder Greenpeace, hinter ihren Ständen stehen kaum Mitglieder oder gar Mitarbeiter der Vereine, sondern ihre Helfeshelfer: die Dialoger.

„Und klar geht es bei der ganzen Sache auch um profitable Zahlen.“, kommentiert ein Dialoger im Internet. Die Kombination aus Profit für den Einzelnen und der „Sache“, die als „gute Sache“ verkauft wird, macht stutzig. „Profit für Non-Profits“, ist einer dieser markanten Sprüche mit denen Agenturen neue Dialoger locken. Doch geht das überhaupt?

In Berlin mache ich mich auf die Suche nach ihnen: Warschauer Straße, Alex, Hackescher Markt, Schönhauser Allee, Prenzlauer Allee, Greifswalder Straße – meist ist ein Stand leicht zu finden. Oft an S-Bahnhöfen, an denen man auf dem Weg zu oder vom Gleis stehen bleiben, leicht abgefangen werden kann. Und natürlich kann man auch mitmachen und selbst Spenden sammeln.

Die Aufgabe von Dialogern: Das Beschaffen von Dialogpartnern?

„Du bist eine Quasselstrippe, redest gerne, bist ein fröhlicher Mensch und ab und zu einfach nur genial daneben?“ Mit Sprüchen wie diesen wirbt eine bekannte Fundraising-Agentur im Internet um potentielle Spendensammler. Ich habe mich beworben – auch wenn mich die Stellenbeschreibung mehr verwundert als berührt hat. Im Büro warten zwei weiteren Bewerberinnen auf den Beginn des Bewerbungsgesprächs. Auf die Frage, wie die beiden auf den Job gekommen sind, folgen eine Reihe Erfahrungsberichte über stressige Kellner- und schlecht bezahlte Ferienjobs.

Das Gespräch beginnt – 20 Minuten zu spät kommen noch weitere drei Anwärter, die noch zwei weitere Freunde mitgebracht haben. Es folgen: weitere Schilderungen von Joberfahrungen, die „zum Kotzen“, oder einfach nur „langweilig“ waren. Zu zehnt, wie in einer Besprechung, die sich allerdings mehr als Gruppenunterricht mit Ralf entpuppt.

Ralf ist ein „Premiumdialoger“: Er wirbt nicht mehr Dialogpartner, sondern fischt nach Menschenfischern oder deren Abkömmlingen, den Dialogern. „Wir machen Sachen für andere“, so Ralf.

„Fundraising – oder auch: Mittelbeschaffung – ist auf der Straße und im Dialog sehr erfolgreich. Aber das reicht nicht. Die Mittel müssen kalkulierbar sein: Ein Spender bleibe in Schnitt sechs Jahre und spende 10 Euro im Monat. Das macht 720 Euro (10 Euro im Monat x 12 Monate x 6 Jahre, d. Red.) für die Organisation. Ein Dialoger schließt durchschnittlich 5 Verträge am Tag… 3500 Euro…Aber wie geht das? Wie bringe ich jemanden dazu? Wann bleibt wer stehen? Irgendnen Scheiß, der Aufmerksamkeit erregt. Willst du ʻnen Keks?“

Ralfs Devise: Irgendwie soetwas.

„Wenn ihr Spaß habt, haben die Leute Spaß. Sympathisch. Ich findʻs gut, er findetʻs gut. Name und Anschrift und Telefonnummer. Unterstützungserklärung schicken wir an den Verein.
Jut.
120 Euro auf einen Schlag wärʻ natürlich cool. 60 Euro das halbe Jahr ist auch ok.
Zurückbuchen jeder Zeit.
Jut.
Dann unterschreibt man.
Jut.
Bis auf Widerruf.
Jut.
Nur so lange wie man kann, wie man will.
Jut.
In Kenia sind 120 Euro eine Volltags-Schulbetreuung für vier Kinder, für sechs Monate. Für uns einmal Shopping. Der Job hat ne Verantwortung. Sonst steht die UNO an der Grenze zu Syrien und sagt, wir können nur zehn Leuten helfen, in Deutschlang hatten wir schlechtes Wetter. Wir stehen auch im Regen.
Jut.“

Die nächsten zwei Minuten lernen wir die Organisationen kennen. Aktuelles Beispiel: Türkei.

„Jut.
Syrien, Libanon. Nahrungsmittel, Unterkunft. Fünfhunderttausend Menschen, zehn Tage.
Jut – Fragen?“
So, ja, wenn ihr Nazis seid, wird es relativ schwierig sich einzusetzen für schwarze Kinder in Not. Ist so jemand hier?
Jut.
Positive Identifikation mit dem Verein.
Jut.
Ihr kriegt ja Geld, dafür seid ihr ja auch hier, ist ja auch völlig legitim.“

Auf einem Flipchart zeichnet Ralf das Spendensystem auf. 100 Prozent des Geldes würden sofort an die Organisation gehen, versichert er.  Wie viel die Agentur und bekämen, sei zuvor vertraglich festgehalten und schließlich eine Frage der Kosten, welche für die Agentur bei den Kampagnen entstünden. Das ist ein großer Fortschritt zum ehemaligen System, bei dem feststand, dass ein fixer prozentualer Anteil der Spende der eingeschalteten Agentur zukäme.

Ralf klingt überzeugend. Auf der Straße stolpert man öfter über dieses Versprechen und überhört es – aus Eigenerfahrung – ungläubig. Schließlich wird sich wohl kaum das Gewinnziel der auf Profit orientierten Agentur geändert haben.Dass zwischen der NGO und dem Spender ein zu bezahlender (!) Kommunikator, der Dialoger, agiert, gerät in Vergessenheit. Da will man Kindern in Afrika schon mit einer Spende helfen. Und trotzdem landen zumindest nicht 100 Prozent davon bei ihnen. Ein Dilemma.

Sonne, sonst ein gewohnt hektischer Nachmittag an der Schönhauser Allee. Doch eine Überraschung: Cindy vom „Mensch Umwelt Tier e.V.“, kurz MUT e.V., baut gerade ihren Stand an der Schönhauser Allee auf. MUT geht für Cindy über die Straßenkampagnen des Vereins hinaus und ist ihre Vollzeitarbeitsstelle.

Doch sie macht noch mehr: Am Wochenende bäckt Cindy mit Kindern. Beim MUT e.V. ist sie seit gut 20 Jahren. Auf die Frage nach ihren Erfahrungen auf der Straße antwortet Cindy und wirkt dabei abgebrüht: „Natürlich wird man mit den Dialogern verwechselt. Das ist schon anstrengend.“

Gleich darauf zieht Cindy ein Heft hervor und braucht nicht lange nach dem Artikel zu blättern, in dem sie ihre Erfahrungen schildert, die sie mit ihrer Großmutter durchlebt hat. Sie pflegte sie in den letzten Jahren und begleitete sie bis zu ihrem Tod.

Sonne, sonst ein gewohnt hektischer Nachmittag an der Schönhauser Allee. Doch eine Überraschung: Ich bleibe stehen. Und spende.