Komm, spiel mit mir

Beim Aufwachen prangt die Aufforderung des Eintrittsbändchens noch am Handgelenk. Berlin ist die Hauptstadt des Kink: kriechende Sklaven, Hiebe und öffentliche Erniedrigung. Die Stadt feiert eine Renaissance des Hedonismus. Jene Flucht ins Jetzt bestimmte schon vor dem „Hip“-Stempel die Nächte. Frei und unkonventionell, das will Berlin sein und ist vor allem so auch Anziehungspunkt für die frivole Gemeinde Deutschlands.

Mit dem Deutschen Fetischball jährt sich an Pfingsten ein dreitägiger Kink-Marathon, inoffiziell eingeläutet durch die Alter-Ego-Party. Dort bleibt das Selbst verborgen hinter einer Maske. Verrucht bekleidet wird getanzt, geknutscht oder in den Spielbereich entführt – sich fallen lassen im Rausch der Anonymität. Um den Reiz zu erhöhen, war ich in Begleitung eines Blind Dates.

-Zurückspulen; play-

Michael* stand bereits an eine Säule gelehnt am Eingang zum Cookies. Die letzte Veranstaltung im Kult-Club der 1990er, bevor er für immer schließt. Früher noch im Asphalt, der alten Heimat des berüchtigten KitKat Clubs, ist die Alter-Ego-Party zu einem massentauglichen Event geworden. Masken und ihr damit einhergehendes Versprechen von Entgrenzung locken – wie bei meinem Date.

Es ist Michaels erster Besuch des Masken-Exzesses. Dementsprechend hat er auch ein Jackett über das weiße Hemd mit Fliege gezogen. Michael kennt die exklusiveren Swinger-Events, bei denen Sushi-Buffets und Sekt inklusive sind. Dort trägt Mann Fetisch oder Smoking. Alter Ego ist da lässiger. Aber auch wenn es keinen zu strikten Dresscode neben dem szeneüblichen Jeans- und Sneakers-No-Go gibt, kommt jeder Gast in schwarz-weiß.

Meine erste Fetisch-Party

Michael erzählte ich von meiner ersten Party: Orientierungslos durch Gin Tonics, Kontaktlinsenprobleme und zu hohe Absätze, tanzte mich ein Mann an. Die Menge bebte, schwammige Umrisse im flackernden Licht: Schwarze Hose, weißes Hemd, groß, blond und mit schwarzer Maske. Ganz klar der Begleiter, dachte ich. Wir tanzten, es wurde enger. Dann fiel der Satz: „Du küsst aber anders als sonst!“

-Pause-

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Anekdoten wie diese soll auch der Abend bringen – zumindest ist das der Plan. Mein Plan. Michael ist dafür aus Hamburg gekommen. Er mache etwas mit Medien, sagt er. Das interessiert an diesem Abend nicht. Wir sind in einer anderen Welt angekommen. Neben den Alltagsklamotten wird auch Nachname und Smartphone abgegeben. Handynetz gibt es nicht, Fotos sind verboten. An der Bar tummeln sich maskierte Gruppen in frivoler Robe, der Musikschall stößt sich an Ecken und findet in immer kleiner werdenden Wellen den Weg zu uns. Doch der Pause-Knopf hängt.

Während Michael die Lippen bewegt und versucht, mein Bein zu streicheln, sucht mein Blick bekannte Silhouetten. Dabei werde ich das Gefühl nicht los, dass ich ihn nach Hause schicken sollte. Seine Mama könnte sich sorgen. Blind Dates können prickeln; vorsichtiges Abtasten, Blicke, Verlegenheit. Sie verheißen Grenzerfahrungen. Michael hingegen suggeriert Durchschnittlichkeit. Ihn könnte ich an der Leine führen und aus der Handtasche ein Leckerli zuwerfen. Die Drinks apportiert er schon brav. Statt belohnend den Kopf zu tätscheln, werden Freunde, Bekannte, Exe gegrüßt.

Die Maske ist letztlich nur ein oberflächliches Accessoire. Michael am Rockzipfel ist der Anker, doch ich will fort! Eine Bekannte kommt – der detailverliebte Catsuit aus Netz – unverkennbar. Diese Frau wollen viele. Sie zieht mich auf die Tanzfläche. Schweiß tropft, nackte Oberkörper berühren sich, andere streicheln, spielen. Wo denn mein Hündchen sei, fragt sie und beugt sich herunter. Ihre Absätze sind spitz und hoch. „Wohl weg!“ Endlich will ich Start drücken, doch das Konzept hat sich verändert.

Statt gewohntem rauschhaften Absturz hängt der Slow-Motion-Knopf. Eine Live-Band knipst Licht in der schummrigen Welt an. Meine Choreografie der Nacht wird durchbrochen. Es fehlt nicht nur der verwegene Blick des Wachmanns zum Spielbereich und die Geschichten, die er mir zuflüstert. Dafür erkenne ich BDSMler von den Underground-Fetisch-Parties. Eine aufregende Welt, die Michael für immer fern bleiben wird.

Aus der kommt auch Antonio*, ein Opernsänger aus Braunschweig. Wir treffen in der Warteschlange vor den Unisex-Toiletten aufeinander. Trotz seiner 60 Jahre ist er ein typischer KitKat-Gänger. Mit rosa Tütü und Hundehalsband provoziert er; vor allem abschätzige Blicke. Bei der Alter-Ego-Party trägt er keine Maske, dafür sieht er sich wohl zu sehr als Unikat.

Offene Beziehungen gehören zum Lifestyle

Antonios Leben wirkt nach außen schizophren: Unter der Woche singt er auf der Bühne und fiebert den Wochenenden entgegen. Denn nur dann kann er sich seiner masochistischen Seite unterwerfen; lustvoll und in Kontrolle seiner Grenzen. Wie er diesen Lifestyle finanziert, bleibt eine andere Frage. Das letzte Mal sahen wir uns bei einem Vampir-Fetisch-Ball. Antonio war in Begleitung einer seiner Dominas. Sie strich die Träger des rosa Tops herunter und bearbeitete seine Nippel – das Zuschauen schmerzte.

-play-

Vor der Toilette treffe ich ein befreundetes Paar. Befreundet, wie man in diesen Kreisen nun einmal so ist. Ihn kenne ich, wir treffen uns gelegentlich, doch es ist ein merkwürdiges Gefühl, seine Freundin zu sehen, auch wenn es kein Fremdgehen war. Offene Beziehungen gehören eben zum Lifestyle.

-start-

Ihre Hände packen meine Haare und sie drückt ihre Lippen auf meine.

-fast forward-

Der Rausch beginnt. Anhängsel Michael ist längst vergessen.

*Namen von der Redaktion geändert