„Nach Berlin kam ich mit sieben Euro – wie Madonna nach New York“, scherzt Erikas und lacht, während wir auf unsere von Yves gemixten Gin Tonics warten. Wir sitzen in einer gemütlichen Sitzecke ihres Friseursalons Montoya – Coiffeur.Living.Room, unterhalten uns über alles und jeden. Unbewusst schweifen wir immer wieder von unserem eigentlichen Gesprächsziel ab. Aus einem kurz geplanten Interview wird ein heiterer Abend mit Spinnereien und Debatten über Berlin, Kultur, Sex und das Leben an sich.
Auf nach Deutschland
Mit 19 Jahren kam Erikas Montoya aus Litauen nach Deutschland. Er erinnert sich noch genau an das Berlin zu dieser Zeit. An die Stadt, die ihn fortwährend nicht mehr aus dem Kopf gehen sollte. Als kleiner Straßenjunge – als den Erikas sich selbst sah – kam er damals in die Hauptstadt, die für ihn wie ein großer Abenteuerspielplatz wirkte. All die Möglichkeiten, die Aussichten, das bunte Treiben schienen hier einfach grenzenlos zu sein. In Litauen hatte Erikas zuvor gerade seine Schulausbildung abgeschlossen. Unsicher darüber, was er in seinem weiteren Leben machen wollte, entschied er sich fürs Reisen, seinen Horizont zu erweitern, zu suchen und zu finden, was er von sich selbst erwartete. Mit leerem Geldbeutel, Ruck- und Schlafsack auf den Rücken geschnallt, machte er sich mit einem Freund auf den Weg. Ein konkretes Ziel hatten die beiden nicht. Sicher war nur, dass sie Litauen verlassen wollten. Hier sahen sie keine Zukunft.
„Für junge Menschen gab es dort einfach keine Perspektive“, erklärt Erikas pragmatisch. Über Polen trampten die beiden jungen Männer nach Deutschland, schliefen unter freiem Sternenhimmel, sangen russische Lieder, philosophierten über das Leben. Dieses finanzierten sie sich mit Gelegenheitsjobs wie Blumenpflücker oder Aushilfe auf dem Bauernhof. Was heutzutage wie der Traum eines jeden jungen, draufgängerischen 20-Jährigen klingt, der abseits von Pflicht und Ordnung seine wilde Seite auskosten will, war für Erikas ein wichtiger Schritt zu seinem heutigen Ich. Es war eine Zeit, die sein ganzes Denken nachhaltig geprägt hat. „Wir haben versucht, jeden Moment mit Spaß zu nehmen, auch schlechte Situationen. Das war einfach toll“, schwelgt Erikas in Erinnerungen. „Heute würde ich das alles zwar nicht mehr machen, aber ich bin ja auch keine 20 Jahre mehr.“
Für den 19-Jährigen Erikas war das turbulente Treiben in Berlin zu viel auf einmal. Er war jung, wollte mehr vom Land sehen, mehr entdecken und „ein bisschen weiter spielen“, wie er selbst sagt. Mit seinem Ex-Mann, einem Schauspieler, den er in Berlin kennen und lieben lernte, zog er also weiter. Gemeinsam durchreisten sie fast alle größeren Städte Deutschlands. In München endete ihr gemeinsamer Weg, als Erikas spontan aus einer Eingebung heraus eine Friseurlehre beginnt. „Ich fand nasse Haare zwar ein bisschen eklig“ gesteht Erikas, „aber Haare schneiden lag mir irgendwie und dann hab ich einfach beschlossen, die Ausbildung durchzuziehen“.
In München lernte der junge Friseurlehrling seinen jetzigen (Noch-)Ehemann, Geschäftspartner und guten Freund Yves Montoya kennen, der damals noch mit seinem Philosophie- und Psychologiestudium beschäftigt war und sich seinen Lebensunterhalt als Barkeeper verdiente. Friseur – Barkeeper – Student: Aus verschiedenen, anfänglichen Ideen und Fantasien entwickelten die beiden vor etwa zehn Jahren ein Konzept, das Friseursalon, Bar, Café und Kunstraum vereinen sollte. Ein solches Geschäft wollten sie eröffnen und somit etwas komplett Neues schaffen. Am Wochenende testeten sie ihren Plan, veranstalteten Partys für Freunde und Bekannte: Erikas stylte und Yves bewirtete. Herhalten mussten dafür Wohnzimmer und Küche der Nachbarin, da ihre eigene Wohnung zu klein war. Ihr Konzept kam an. Ihre Planungen nahmen Form an. Nun hatten sie ein Ziel vor Augen und legten jeden Cent für ihre für ihren großen Traum beiseite.
Kunst und Haare bei Montoya
Vor dreieinhalb Jahren eröffnete schließlich das Montoya in Friedrichshain. Möglich war dies durch die Unterstützung von guten Freunden, zu denen auch ihre damalige Münchener Nachbarin zählte. Eigens zur Eröffnung ließ sie den beiden ihren alten Küchenschrank aus Holz zukommen, der Erikas und Yves stets an ihren Start erinnern soll. Heute dient er als Farblabor.
Durch Retro-Möbelstücke und ausgefallene Dekoration erinnert ihr Laden in der Voigtstraße mehr an gemütliches Wohnzimmer. Lediglich Frisierstühle, Spiegel und Waschbecken gedenken der Tendenz eines Salons. Das Besondere ihres Ladens ist allerdings die Kunst an den unverputzten Wänden, die Raum für wechselnde Ausstellungen junger Künstler bieten. Ihnen geben Erikas und Yves mit ihrem Montoya eine Plattform, eine Chance vor Publikum auszustellen, um vielleicht auch einmal ihren großen Traum verwirklichen zu können. Alle drei Monate hüpft das Montoya dadurch in ein neues Kleid – feierlich eröffnet mit einer entsprechenden Vernissage.
Dass sie ihren Laden in Berlin und nicht in München aufmachen wollten, war für die beiden übrigens von Anfang an klar. München sollte lediglich ihr Sprungbrett sein. Denn wie Erikas war auch Yves im Bann der Hauptstadt. Als bunte Hunde, angezogen von Berliner Straßenlooks, Cafés und Clubs, fühlten sie sich in den feinen Münchener Kreisen nie richtig angekommen. Sie verfolgen einen einzigartigen und originellen Lifestyle, der nicht zur bayerischen Schickeria passte.
So haben sich Erikas und Yves mit dem Montoya nicht nur einen Arbeitsplatz geschaffen, an dem sie sich wohl fühlen. Sie können sich auch so geben, wie sie wirklich sind. „Ob Arbeits- oder Privatrolle, das ist bei uns im Einklang“, sagt Yves, „wir können hier im Laden einfach rumlaufen, wie wir sind. Wir verstellen uns nicht und reden im Laden auch über Sex und Drogen.“