Die Sonne steht tief über einem Altbau in Prenzlauer Berg. Eine Mischung aus Verkehrslärm, Vogelgezwitscher und den fröhlichen Stimmen spielender Kinder dringt ans Ohr. Vor der Filiale eines bekannten Geldinstitutes mustert ein Polizeibeamter mürrisch die menschenleeren Fußwege. Sein herumschweifender Blick scheint nicht genau zu wissen, wonach er sucht. Würde er ahnen, dass nicht einmal 20 Meter Luftlinie von seinem Standpunkt entfernt ein junger Mann bewusst zu einem Kriminellen wird, dann würde er vielleicht eingreifen. Danach hätte er seiner Familie und seinen Kollegen am Abend vielleicht etwas zu erzählen. Doch dem ist nicht so. Er steht seine Arbeitszeit ab.
Paolo* steht lachend in der Eingangstür. Barfuß. Seine Schwarzen Haare fallen ihm ins Gesicht. Man sieht ihm seine italienische Herkunft direkt an. „Komm rein“, bittet er freundlich. Die Wohnung, die er mit seiner Freundin bezieht, ist stilsicher eingerichtet. An den Wänden hängen moderne Gemälde und man erkennt, dass hier jemand Ahnung von Ästhetik und Kunst hat. Auf dem Tisch steht wie selbstverständlich ein Glasbehälter … komplett gefüllt mit Gras.
Paolo* ist vor einem halben Jahr zum Studieren nach Berlin gekommen – „irgendwas mit Medien“. Vorher lebte er schon für längere Zeit in Italien, Spanien und Australien. Auch in Berlin ist er nicht das erste Mal angesiedelt, sondern jobbte hier schon für einige Monate in einem der nobelsten Hotels. Zudem befand er sich ein Jahr auf Weltreise. Ein ereignisreiches Leben für jemanden, der gerade erst Mitte zwanzig ist.
„Wollen wir rauchen?“, fragt er und manövriert ein paar kleine Brocken des Glasinhaltes auf den Tisch.
Kiffer seit dem 16. Lebensjahr
„Ich rauche, seit ich 16 bin. Am liebsten zu Hause und wenn ich noch nichts gegessen habe“, beginnt er zu erzählen, zieht dabei genüsslich am mittlerweile fertig gebauten Joint. „Mir gefällt das Gefühl. Meine Muskeln entspannen sich und ich komme ein wenig zur Ruhe“, erzählt er weiter. Dazu erklärt er, dass er ein sehr hippeliger und ruheloser Mensch sei.
Matte Rauchschwaden umhüllen das Zimmer, es riecht verdächtig. Wir beginnen uns zu unterhalten. Paolo* ist sehr kreativ und interessiert, produziert Musik, befasst sich mit politischen und kulturellen Themen. Gerade hat er die Zusage von einer renommierten Berliner Schauspielschule bekommen. Er erzählt, dass Gras seine Kreativität fördern würde, und meint außerdem: „Mir fällt es in diesem Zustand leichter, mit neuen Leuten ins Gespräch zu kommen.“ Die Gelegenheit für weedgeschwängerte Gespräche hatte er auf seiner Reise durch fünf Kontinente mehr als genug. Abgesehen davon, dass er beim Kiffen immer wieder sympathische Menschen kennengelernt hat, sind ihm einige skurrile Geschichten im Zusammenhang mit Marihuana passiert.
„Einmal wollte ich in Thailand was kaufen. Ein Mann, der mir etwas angeboten hatte, meinte, ich solle bei ihm mit aufs Moped steigen. Dann fuhr er los – und fuhr und fuhr“, erinnert sich Paolo. „Irgendwann waren wir mitten im Dschungel, es gab keine befestigten Straßen, keine Menschen, aber dafür habe ich Affen gesehen. Meine Freundin hat auf mich in der Stadt gewartet, aber mein Handy war aus und ich hatte wirklich Angst, dass mir irgendwas passieren würde. Letztendlich sind wir nur zu einer Plantage gefahren, ich habe mein Gras bekommen und danach ging es wieder zurück. Das Ganze sollte eigentlich nur zehn Minuten dauern. Am Ende waren es vier Stunden.“ Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Ich habe meine Freundin dann erst mal ganz fest umarmt.“
Erneut werden Tip-Papier, Longpape und Tabak auf dem Tisch ausgebreitet. Es ist Zeit für Runde zwei. Paolo merkt man seinen Konsum bisher nicht an. Klischees wie rote Augen, Fressattacken oder eine verlangsamte Reaktion, wie in Filmen gerne dargestellt, erfüllt er nicht. Ganz normal sprechen wir weiter. Die brennende Lunte fällt gar nicht auf. Ein begleitendes Genussmittel eben. Genau wie das obligatorische Bier zum Fußballspiel am Wochenende. Der einzige Unterschied: Es ist illegal.
„Ich denke, irgendwann wird man Gras auch in Deutschland legal kaufen können. Das ist die Zukunft, denn so viele Menschen rauchen“, antwortet er auf die viel diskutierte Frage nach der Legalisierung von Marihuana.
In Berlin, zum Beispiel im Görlitzer Park, wäre es seiner Meinung nach sinnvoll, einen Coffeeshop oder einen Social Cannabis Club zu eröffnen. Die Geschichten von diesem, mittlerweile von den Medien totgeredeten, Ort erfährt er dabei aus erster Hand.
„Ich habe einen Freund aus Gambia, der im Görlitzer Park verkauft. Er hat drei Jahre in Rom gelebt und so können wir uns gut auf Italienisch verständigen. Wenn ich was brauche, dann gehe ich zu ihm und wir unterhalten uns ein wenig. Letztes Mal hat er mir sogar etwas geschenkt.“
100 Euro fürs Kiffen im Monat
Etwa hundert Euro gibt Paolo im Monat für Marihuana und Haschisch aus. Angst davor, vom Kiffen abhängig zu werden, hat er jedoch nicht: „Ich habe immer mal für einige Monate aufgehört und es hat sich nicht großartig etwas in meinem Leben verändert“, sagt er nüchtern und man bekommt dabei nicht das Gefühl, als wäre einem gerade eine Lüge aufgetischt wurden. Nur apathisch und nervös würde er manchmal, wenn es während seiner Abstinenz doch mal zu viel geworden ist. „Manchmal verliere ich dann auch einfach das Gleichgewicht“, fügt er lachend hinzu.
Dann meinte er beinahe entschuldigend: „Ich muss jetzt langsam los zur Arbeit.“ Auf meinen fragend Blick hin erklärt er: „Ich rauche öfters mal einen Joint davor. Das beeinträchtigt mich gar nicht.“ Und so verabschieden wir uns. Auf ein baldiges Wiedersehen.
Als ich aus der Haustür trete, steht der Polizist immer noch an gleicher Stelle, als hätte er sich die letzten zwei Stunden nicht bewegt. Würde er jetzt auf einen Verdacht hin in Paolos Wohnung kommen, dann würde nichts auf einen Drogenkonsumenten hinweisen. Ein intelligenter, junger Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht, hätte ihm die Tür zu einer sauberen und ordentlichen Wohnung geöffnet. Hätte Paolo seine Kifferutensilien weggeräumt, hätte rein gar nichts den Verdacht erweckt, dass hier etwas Illegales vor sich geht.
Das Bild des antriebsarmen Kiffers, der zum Messitum neigt, wurde in diesem Fall widerlegt. Nicht jeder, der Gras raucht, ist gleich ein Junkie oder ein Schwerkrimineller. Das sollte sich im Bewusstsein der Menschen verankern. Ob jahrelanger, regelmäßiger Konsum jedoch gut für Körper und Geist sind, muss jeder für sich selbst entscheiden.
* Name von der Redaktion geändert