Wenn man im Sommer mit dem Auto die Landstraße entlang fährt, spielen sich auf der Frontscheibe bisweilen kleine Tragödien ab. Ein schauriges Sammelsurium toter Insekten läßt sich dann am Ende einer Fahrt entdecken. Das Englische hat ein Wort, das auf diesen Insektenmatsch verweist, eigentlich aber etwas anderes meint: „Bugsplat“ – die gezielte Tötung von Menschen durch ein unbemanntes Flugobjekt, eine Drohne.
Seit 2004 sind Drohnen-Angriffe in Pakistan an der Tagesordnung. Der amerikanische „War On Terrorism“ legitimiert, was an Grausamkeit kaum zu überbieten ist. Mehr als 1100 tote Zivilisten haben die Angriffe aus der Luft bereits gefordert, die Gesamtzahl der Toten – von Extremisten und Zivilisten – dürfte inzwischen die 3000er-Marke überschritten haben. Das Bild, das die westlichen Medien von Pakistan zeichnen, ist eines, das unmissverständlich sagt: „Dort sitzt der Terror, von dort kommen die Taliban.“ Aber auch der Nachbarstaat Afghanistan zeigt sich kritisch, wenn es um die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den pakistanischen Sicherheitskräften und Al-Quaida geht. Zurecht. Wenn der Krieg gegen den Terror eines jedoch nicht erzielt hat, dann ist es eine Vermeidung des Terrors. Im Gegenteil. Es entstanden und entstehen mehr und mehr extremistische Netzwerke und Organisationen.
Drohnen-Angriffe wurden unter Obama ausgeweitet
Die Folge liegt auf der Hand: Eine Ausweitung der Drohnen-Angriffe durch die CIA, eine Verlängerung der berühmten „Kill List“, die unter der Präsident Busch eingeführt und unter Obama konsequent erweitert wurde. Längst schon finden sich dort nicht nur die Namen derer, die führende Taliban-Mitglieder sind. Als im Dezember 2014 die Filmemacherin Laura Poitras und der IT-Experte Jacob Applebaum während einer Konferenz in Hamburg die Todesliste publik gemacht hatten, wurde ersichtlich, dass auch die mittlere Ebene und Drogenschmuggler seit 2008 offiziell als „targets“ gelten.
Jalal Sarhadi Qatkhel lebt in Wasiristan. Wasiristan ist ein kleiner Teil im Nordwesten Pakistans, direkt an der Grenze zu Afghanistan, die dort eigentlich gar nicht existiert, da Pakistan und Afghanistan sich seit mehr als zwei Jahrzehnten um das Gebiet streiten. Das „Malik“, das seinem Namen in den meisten Medien vorangestellt wird, heißt im Arabischen so etwas wie „König“ und ist ein Ausdruck der Ehre, die man Stammesführern entgegen bringt. Sehr bergig ist es dort, wo Jalal geboren wurde und aufwuchs, ein perfekter Ort, um sich zu verstecken – für Mitglieder von Al-Quaida, islamische Rebellen und neuerdings auch für Jalal. Er ist höheren Alters und einer der Leiter des Friedenskomitees „North Waziristan Peace Committee“, das für die Prävention von Gewalt zwischen den Taliban und den lokalen Behörden zuständig ist. Der Westen jedoch glaubt, dass die Gruppe den Taliban in Wasiristan einen sicheren Zufluchtsort bietet und sie schützt. Dass es nur Fassade ist und in Wirklichkeit unterstützt, was der Westen seit 9/11 so engagiert zu bekämpfen versucht.
Jalals Geschichte beginnt im Januar 2010. Er borgt seinem Neffen das Auto, bittet ihn, das Öl wechseln und die Reifen überprüfen zu lassen. Auf einmal explodiert es, eine Bombe hat das Auto neben ihm getroffen und alle vier Männer getötet. Jalals Neffe kommt mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus, wo er für mehrere Wochen behandelt wird. Schon damals kam Jalal in den Sinn, dass der Anschlag vielleicht ihm selbst gegolten haben könnte. Im September desselben Jahres wiederholt sich die Szene. Erneut schlägt eine Bombe ein, diesmal im Fahrzeug hinter ihm, das seinem zum Verwechseln ähnlich sieht.
Nur einen Monat später dann ist Jalal sich sicher: Er selbst ist das Ziel. Am 6. Oktober tötet eine Bombe drei unschuldige Menschen auf der Straße, darunter seinen Cousin, nachdem Jalal einen Bekannten angerufen und ihn über seine baldige Ankunft informiert hatte. Es sollte ein Abendessen unter Freunden werden. Als im März 2011 während einer „Jirga“, einer traditionellen Versammlung, die zwischen der Zentralregierung und den ländlichen Stämmen vermitteln soll, eine Bombe einschlägt und 40 Zivilisten tötet, spricht Jalal deutliche Worte aus. Worte, die ihn auf die Todesliste gebracht hätten – wäre er nicht schon darauf gewesen.
Die „Express Tribune Pakistan“, eine englischsprachige Tageszeitung, die mit der „International New York Times“ kooperiert, veröffentlichte einen Bericht, in dem Jalal gegenüber Reportern erklärt haben soll, dass die Stämme bereit wären, in den Heiligen Krieg gegen die Vereinigten Staaten sowie alle Pakistanis, die eine Mitschuld an den Drohnen-Angriffen tragen, zu ziehen. Um all die unschuldigen Menschen zu rächen, die seit 2004 systematisch getötet wurden. Er erklärte außerdem, dass sich weder Mitglieder der Al-Quaida, noch der Taliban im Norden Wasiristans aufhielten und die einzigen Menschen, die unter den Gräueltaten zu leiden haben, Kinder, Frauen und ältere Stammesmitglieder seien.
Seinen Worten wird selbstverständlich kein Glauben mehr geschenkt. Jalals Leben wird, ebenso wie das der meisten Menschen aus seiner Region um das kleine Dorf Datta Khel, nie mehr so sein wie zuvor. Noch ist er ein „Objective“, ein Gejagter, wie es der amerikanische Geheimdienst intern nennt. Bald schon aber kann zum „Jackpot“ werden. So makaber bezeichnet die CIA erfolgreich ausgelöschte Ziele der Drohnen. Jalals Frau und seine Kinder leben in ständiger Angst. Er selbst schläft längst nicht mehr in seinem Haus, sondern in den Bergen, unter Bäumen. Da, wo er sich sicher glaubt.
Listen 2 @BBCr4today @ 0830. @Reprieve client Malik Jalal on why he is trying to stop US from killing him. #drones pic.twitter.com/a8FP5K39OO
— Jennifer Gibson (@jennifermgibson) 11. April 2016
Mitte April flog er nach Großbritannien, um dem BBC „Radio 4“ seine Geschichte zu erzählen und vor Gericht dafür zu kämpfen, von der Todesliste gestrichen zu werden. „Fragt mich, was ihr wollt, aber beurteilt mich gerecht – und bitte hört auf, meine Frau und meine Kinder zu terrorisieren. Und bitte nehmt mich von der Abschussliste“, sagte er dem britischen „Independent“. Auch wenn Jalal Erfolg haben sollte – für die anderen durchschnittlich 28 toten Zivilisten pro Abschuss bleibt der von den USA geführte Drohnenkampf bittere Realität.