Es ist ein kalter Februarnachmittag in der Reichenberger Straße. Altbauten mit ansehnlichen Verzierungen und beeindruckenden Raumhöhen prägen hier das Bild der Stadt. Den Passanten pfeift der Wind ums Gesicht, melodisch bewegen sich kahle Äste am Straßenrand in seinem Takt. Von grünen Knospen oder Blättern fehlt noch jede Spur. Letzte Schneereste bestätigen die eisige, winterliche Atmosphäre.
Die Bewohner des Reichenberger-Kiez haben sich trotz Minusgraden heute auf der Straße zusammengefunden. Solidarische Unterstützung erhalten sie von Mietern anderer Bezirke, Freunden und Bekannten. Die Mieterschaft von Friedrichshain über Wedding bis hin zu Neukölln ist an diesem Tag vertreten. Es ist eine bunte Mischung verschiedener Generationen, Persönlichkeiten und Nationen, die sich ansonsten wenig gegenseitige Beachtung schenkt. Und doch treffen sie sich heute, um ein gemeinsames Ziel kund zu tun – ein Ziel, welches sie alle verbindet: Bezahlbarer Wohnraum in der Stadt und der Stopp von Zwangsräumungen aufgrund unbezahlbarer Mietsteigerungen.
Die Kundgebung sieht man schon von weitem, denn das Straßenende ist hier abgesperrt. „Keine Profite mit unserer Miete“ tönt es aus der friedlichen Menschenmenge. Auf einem Kleintransporter, der improvisatorisch als Bühne dient, halten betroffene Mieter Reden und informieren über ihr Schicksal. Musiker unterstützen sie dabei. Ein Stand mit Informationsmaterial soll besorgte Zuhörer über ihre Rechte als Mieter aufklären. Mitglieder des Nachbarschaft-Zusammenschlusses aus dem Reichenberger-Kiez stehen ihnen mit Rat zur Seite. Die ganze Situation wirkt harmonisch.
Ob jung oder alt, mit Tanz und Gesang wird lebhaft demonstriert, obwohl der eigentliche Anlass des Treffens verheerend ist: Eine 5-köpfige Familie steht vor dem Verlust ihrer Wohnung, nachdem ihr Hausbesitzer Mieterhöhungen von bis zu 50% erzielt hat und einige Altmieter bereits notgedrungen ausziehen mussten.
Immer mehr Menschen mit niedrigen Einkommen verlieren so ihre Bleibe, da sie ihre Mieten schlichtweg nicht mehr bezahlen können. Sie sind dann gezwungen an den Stadtrand oder in weniger beliebte Stadtteile zu ziehen. Rücksicht auf Schwächere wird nicht genommen.
Sobald sich eine Gegend zum sogenannten Szene-Kiez gemausert hat, bekommen schließlich auch Hausbesitzer davon Wind, wollen mitverdienen und ziehen die Mieten entsprechend an. Dass die Wandlung zum „In-Bezirk“ erst durch seine Bewohner, ihren Fleiß, Liebe und Kreativität möglich war, wird dabei immer wieder vergessen. Sie sind es, die die Gegend zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Gehen müssen sie trotzdem, wie das Beispiel im trefflich bezeichneten „Reiche-Kiez“ zeigt. Das Mietrad dreht sich währenddessen immer weiter – soweit, dass Wohnraum in einigen Berliner Bezirken heutzutage bereits zum Luxusgut geworden ist.
Mietpreisbremse ist wirkungslos
Trotz des Gesetzes zur Mietpreisbremse, das im Juni 2015 verabschiedet wurde, sind Berliner Mieten sind bis zum November letzten Jahres weiterhin um rund drei Prozent gestiegen. Hausbesitzer halten sich schlichtweg nicht an das neue Gesetz.
Vor allem Neumieter haben nach wie vor kaum eine Aussicht auf Erfolg, wenn sie überhöhte Preise juristisch anfechten. Aufgrund der gestiegenen Immobilien- und Grundstückspreise müssen Vermieter immer mehr Geld in ihre Wohnungen investieren. Diese erhöhten Kosten wälzen sie auf die Bewohner ab. Profit steht immer öfter über sozialen Belange und ethischen Grundsätze. Sei es in Berlin, London oder Barcelona; Gentrifizierung ist und bleibt ein soziales Dilemma.
„Wer Wohnraum als Ware handhabt, spielt mit dem Leben anderer Menschen“ schreibt die Stadtteil-Initiative Café Reiche auf einem Infoblatt, welches auf der Kundgebung ausliegt. Ihre Mitglieder treffen sich regelmäßig und sind berlinweit mit anderen Initiativen vernetzt. Da sich niemand außer ihnen selbst für ihre Interessen einsetzen wollte, verbanden sich die Mieter und kämpfen nun eigenständig für ihre Rechte. Damit zeigen sie eine vorbildliche Solidarität im Kampf gegen die untragbaren Kosten. Die ganze Thematik ist Teil einer schwierigen Debatte, für die bisher keine zufriedenstellende Lösung gefunden wurde.
Der Milieuschutz einiger Berliner Gebiete, in denen die soziale Durchmischung der Bevölkerung besonders gefährdet ist, wie am Boxhagener Platz, ist ein Anfang.
Wenn für ein Gebiet Milieuschutz besteht, müssen die Nutzungsänderungen von Immobilien stets amtlich genehmigt werden. Allerdings dauert es bis zum Erlass entsprechender Verordnungen oftmals lange – zu lange für viele Mieter. Fraglich ist auch die Umsetzung der jeweiligen Verordnungen durch die Beamten der Stadt.
Das Zusammenhalten und die solidarische Unterstützung von Mietern bleibt somit vorerst eine der einzigen Möglichkeiten, sich Miethaien und Investoren zu widersetzen. Als starke Einheit fordern die Mieter im Reichenberger-Kiez heute „freedom, peace and equal rights“, wenn es um Zwangsräumung teuer modernisierter Wohngebäude geht, ein Grundrecht auf Wohnraum und den Stopp von Mieterverdrängungen aus ihrem Lebensumfeld aufgrund von Profitmaximierungen einiger weniger.
Mihails Kampf mit seiner Hausverwaltung
Mihail war auch auf der Kundgebung im Reichenberger-Kiez. „Wenn so etwas stattfindet und ich es mitbekomme, was meistens der Fall ist, dann gehe ich eigentlich immer hin“ erzählt der 36-Jährige. Seit seiner Teenagerzeit ist Musik seine große Leidenschaft. Oft stellt der Musiker sein Talent bei Kundgebungen zur Verfügung und spielt aus Solidarität mit den Betroffenen.
Sieben Jahre wohnt Mihail nun schon in seiner geräumigen Wohnung im Weddinger Sprengelkiez. Mit ihren alten Holztüren und -dielen, ihren hohen, großzügigen Räumen und Fenster ist sie das Paradebeispiel einer klassischen Berliner Altbauwohnung aus dem frühen 20. Jahrhundert. Ein wenig in die Jahre gekommen, blättern mittlerweile Putz und Farbe von Wand und Tür. An den Wänden verlegte Stromkabel sind offen sichtbar, eine Heizung oder ein richtiges Badezimmer gibt es erst gar nicht. Als Dusche funktioniert eine selbstgebaute, auf einem Podest angebrachte Badewanne mit Boiler. Sie steht in einem seiner Zimmer.
Trotz der kleinen Makel strahlt die Wohnung Gemütlichkeit aus. Jede Ecke erzählt eine andere Geschichte. „Ich fühl mich hier einfach wohl. Die Wohnung ist mein zu Hause“ beginnt Mihail während Klaus, sein Kater, an ihm vorbeischleicht. „Die Lebensqualität ist für mich persönlich einfach unvergleichlich“, fährt er fort.
Als letztes Jahr das gesamte Haus verkauft wurde und die neue Hausverwaltung teure Modernisierungsarbeiten ankündigte, war auch Mihails Heim betroffen.
Jede Wohnung sollte nun französische Fenster, eine Heizung sowie einen Balkon erhalten. Wie üblich, wurden 11 Prozent der kompletten Modernisierungskosten auf die Mieter umgeschlagen, denen die erste Neuberechnung ihrer Mieten einen kleinen Schock versetzte. Mietsteigerungen von über 100 Prozent waren kein Einzelfall. Allein Mihails Miete sollte von 295 Euro auf über 640 Euro steigen – ohne die feste Zusicherung eines Badezimmereinbaus, schildert er. Zusammen mit anderen Mietern des Hauses gründete er daraufhin im Sommer eine Mietergemeinschaft, in der alle gemeinsam über die Maßnahmen diskutierten. Sie führten Gespräche mit Anwälten des Mieterschutzbundes.
Allen Mietern gelang es so, die hohen Mietsteigerungen erfolgreich zu reduzieren. Unnötige Modernisierungsarbeiten wie der Einbau von französischen Fenstern wurden abgelehnt – normale Fenster erfüllen schließlich auch ihren Zweck. Was ist notwendig und was nur teures Aufhübschen des Wohnraums? Das sieht jeder Mieter anders. Mihail jedenfalls lehnte auch den Anbau eines Balkons ab. Bekommen hat er ihn trotzdem – aber ohne direkten Zugang. Er nutze ihn dennoch, erklärt er lachend und zieht an seiner Zigarette.
Über mehrere Monate hat ihn die neue Hausverwaltung unter Druck gesetzt, er solle endlich die neue Mietberechnung unterzeichnen.
Schließlich machte sie ihm nach einer zweiten Neuberechnung ein drittes, endgültiges Angebot von 450 Euro monatlicher Miete. Damit war der Musiker einverstanden. Als er dem Verantwortlichen der Hausverwaltung die Berechnung jedoch unterzeichnet überreichen wollte, nahm dieser den Vertrag plötzlich nicht mehr an. Er zückte nur sein Mobiltelephon und reichte es Mihail. Dieser hatte am anderen Ende der Leitung nun die Hausbesitzerin am Apparat, die ihm erklärte, dass die dritte Berechnung fehlerhaft sei und er die vorausgegangene von 510 Euro unterschreiben solle.
Dies tat Mihail aber nicht, sondern schickte den unterschriebenen Vertrag mit der dritten Mietberechnung per Post zur Hausverwaltung. „Eine Woche später habe ich dann noch einmal die zweite Berechnung zur Unterzeichnung zu geschickt bekommen, unterzeichnet habe ich sie aber nicht“, beschreibt er die Situation. Mit der Hausverwaltung hat Mihail sich ja schließlich auf eine neue Miete von 450€ geeinigt, dies hat der Musiker auch schriftlich bestätigt bekommen.
Drei Monate ist das ganze her. Seitdem herrscht Funkstille. Die Hausverwaltung regt sich nicht, scheint ihren nächsten Schritt genau überlegen zu wollen. Zurzeit zahlt Mihail noch immer seine anfängliche Miete von 295€. Eine Heizung hat er auch immer noch nicht. Während seine Mitmieter bereits alle mit Fernwärme heizen, brennt bei ihm weiterhin eine Flamme im Alles-Brenner-Ofen.
Mieter Andi zieht nicht freiwillig aus
Die Auseinandersetzung mit seinem neuen Vermieter steht Andi noch bevor. Erst vor kurzem ist der 27-jährige Student in die WG in Friedrichshain gezogen. Eine Woche nach seinem Einzug hing im Hausflur ein Aushang mit der Information, dass das Gebäude verkauft wurde, saniert und in Eigentumswohnungen umbaut werden soll.
Die Investmentfirma, die den Komplex gekauft hat, preist die luxuriösen Eigentumswohnungen bereits groß im Internet an. Ein Datum oder einen Hinweise zum Auszug haben Andi und seine Mitbewohner jedoch noch nicht erhalten, während in leer stehenden Wohnungen schon mit den Bauarbeiten begonnen wurde. Seit zwei Monaten funktioniere nun die Sprechanlage nicht mehr und die Aufgangsreinigung würde höchstens noch einmal im Monat durchgeführt – obwohl das Haus derzeit eine Baustelle sei, erzählt Andi.
Auf seine Nachfrage bei der Hausverwaltung reagiert diese allerdings nicht. Dies Gründe hierfür kann der Student erahnen: „Mit solchen Maßnahmen wird versucht, den Mieter dazu zu bewegen, freiwillig auszuziehen.“
Wer lebt schließlich gerne auf einer Baustelle? Das Problem des noch in der Wohnung lebenden Mieters würde sich so von selbst lösen. Der Investor würde sich die Zahlung einer Abfindung sparen. Andi und seine Mitbewohner wollen dennoch hartnäckig bleiben und nicht einfach ausziehen. „Wir als Mieter erhalten durch eine Abfindung die Möglichkeit, die Provision für eine neue Wohnung zu zahlen. Für die Investmentfirma hingegen ist eine Abfindung nicht viel Geld“, erklärt er.
Im Austausch mit seinen Mitmietern hatte Andi bisher wenig Erfolg. Auf ein selbst erstelltes Flugblatt wurde nicht reagiert. Von der Gemeinschaft im Reiche- und Sprengelkiez können sich die Mieter hier noch etwas abgucken.
Dieser Artikel könnte unendlich so weiter gehen. Berlin ist voll von Menschen, die in einer ähnlichen Situation wie Mihail, Andi und die 5-köpfige Familie stecken. Zwangsräumungen sind an der Tagesordnung. Es wird endlich Zeit, dass eine gerechte Lösung gefunden wird. Ein Lösung, die gerecht ist für die Masse der Bewohner und nicht für einige wenige Investoren.
Kommentare
Eine Antwort zu „Berlin verkauft Berlin“
Von der Mietpreisbremse haben sich viele doch einiges mehr verspochen. Wie man jetzt aber auch auf http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2017-01/39609634-kommunen-halten-mietpreisbremse-fuer-gescheitert-003.htm nachlesen kann, sehen selbst die Komunen das ganzes als gescheitert an. Hier muss sich deshalb endlich etwas tun.