„Komm, lass uns wachsen!“

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Teil II von Nadine Ciolkowski

Kaum ein anderes Jahrzehnt offenbart die tiefe Verbindung von Gesellschaft und neuen Entwicklungen wie das jetzige. Egal ob Smartphone, Tablet oder E-Reader – technische Geräte sind fest in unserem Alltag verankert. Sie suggerieren Fortschritt und Geschwindigkeit. Sie beleben die Forderungen des schnelllebigen Geistes nach Weiterentwicklung. Sie sind Komponenten des technischen Zeitalters.
Ein Leben ohne Innovationen?– in unserer heutigen Zeit nur schwer vorstellbar.Schließlich repräsentieren sie Fortschritt. Und Fortschritt bedeutet unsere Zukunft. 

Ein kulturgeschichtlicher Rückblick zeigt, wie uns Innovationen schon immer verändert und beeinflusst haben. So sind es im letzten Jahrhundert der Fernseher, das Mobiltelefon, der Computer oder auch das Internet gewesen. Sie alle etablierten sich als fester Bestandteil unseres Lebens. So lernen Schüler bereits in früher Schulzeit den Nutzen des Computers zu schätzen, Unterricht greift immer häufiger auf digitale Plattformen zurück. Studenten nutzen wie selbstverständlich die Online-Portale ihrer Bibliotheken zur Literatursuche, ohne auch nur den kleinsten Gedanken an die noch vor wenigen Jahren mühselige Arbeit ihrer Vorgänger zu verschwenden. Kaum vorstellbar, wie die Menschen ohne unsere Möglichkeiten
gelebt haben. Heute ist die Welt, das Leben vereinfacht. Uns scheinen keine Grenzen mehr gesetzt zu sein. Einfach alles erscheint möglich – durch Technik.

Was es zu technisieren galt, haben wir technisiert. Abläufe verschiedenster Art haben wir durch Maschinen effizienter gestaltet, den Menschen auf ein Minimum reduziert – der reibungslose Ablauf modernster Techniken muss dennoch von Menschenhand gewährleistet werden. Selbständige Reparaturen sind (noch) nicht möglich.

Auch Sophie ist in ihrem alltäglichen Leben auf Computer und Co. angewiesen. Auf sie verzichten möchte die junge Studentin nicht: „Für mich wäre es dann wieder wie im Mittelalter“, erklärt sie. Ohne lange den Fahrplan des Berliner Liniennetzes zu durchforsten, zeigt ihr Smartphone jederzeit die schnellste U-Bahnverbindung. Der Laptop hält das Leben der Neunzehnjährigen beisammen – persönliche Dokumente, Hausarbeiten sowie Fotografien aus dem letzten Urlaub, von Freunden und Familie. Alle wichtigen Momente sind digitalisiert. Sie sind überall verfügbar und Sophie ebenfalls. Abschalten ist nicht möglich. Nur einen Post – eine Nachricht entfernt – sind wir stets in Verbindung mit Freunden. Direkter, physischer Kontakt wird dadurch jedoch nicht ersetzt. Gelegentlich wird er sogar verkompliziert.

Sophie ist in ihrem alltäglichen Leben auf Computer und Co. angewiesen.

Sophie ist in ihrem alltäglichen Leben auf Computer und Co. angewiesen.

Um sich zu entspannen, schaltet Sophie Smartphone und Laptop aus. Denn so sehr wir die Annehmlichkeiten technischer Geräte bevorzugen und auf sie angewiesen scheinen, so sehr beeinträchtigen sie uns manchmal, verwehren unsere tiefsten menschlichen Züge. Dies geht bereits soweit, dass Mitarbeiter auch in ihrer Freizeit bedingungslos erreichbar sein müssen, ihre Arbeit mit nach Hause nehmen und „Burnout“ als neue Volkskrankheit publiziert wird.

Trotzdem haben wir uns weitgehend von Technik abhängig gemacht und unser Leben auf sie ausgerichtet. Ohne sie fühlen wir uns überfordert, es scheint nichts mehr zu funktionieren. Bestes Beispiel hierfür ist das Navigationsgerät. Unkompliziert und verständlich leitet es uns von A nach B. Vollständig verlassen wir uns auf die Angabe des technischen Helfers. Doch was, wenn er plötzlich streikt? Dann bleibt nur noch der Rückgriff auf die ausgediente Straßenkarte. Aber wer kann diese heutzutage noch lesen außer unseren Eltern und Großeltern? Kaum jemand. Der Großteil der 20-30 Jährigen hat es nie gelernt, war nie darauf angewiesen. Diese Tatsache demonstriert nicht nur die Abhängigkeit – vor allem der jungen Generationen – von technischen Geräten, sondern auch unsere wachsende Ignoranz. Warum sollten wir uns einen Weg merken, wenn das Navi ihn in wenigen Sekunden aufrufen kann? 

Die Frage entspringt der Wurzel des Generationskonflikts. Viele Kleinigkeiten, die für uns heutzutage als Selbstverständlichkeit angenommen werden, sind es für die älteren Generationen nicht. Für sie sind unsere technischen Möglichkeiten unfassbar. Da gleicht ein vom kompakten Smartphone aufgenommenes Foto schon einmal einem kleinen Wunder, wo noch vor fünfzig Jahren große, schwere Apparate notwendig waren. Diese Zeit hat Generation Y nicht miterlebt. Sie kennt sie lediglich aus Geschichten. 

Werte und Vorstellung haben sich gewandelt. Wir haben sie neuen Techniken angepasst. Sie veränderten sich mit den Generationen. So wird es vermutlich immer sein. Erfinder und Hersteller profitieren davon, heute mehr denn je. Gleichzeitig zeigt sich allerdings verstärkt, dass nicht jedes x-beliebige elektronische Gerät tatsächlich innovativ ist. Immer häufiger scheint das Konsumverhalten des Verbrauchers im Vordergrund der Interessen zu stehen. Stetig muss ihm ein neues „Must-Have“ verkauft werden, welches es dann nach kurzer Lebensdauer zu ersetzen gilt.

Wirklichen Innovationen, wie sie unsere Großeltern kennenlernten, wird immer seltener Raum gegeben. Im Sinne der Nachhaltigkeit gilt es dies zu überdenken: Innovationen – ja. Elektromüll – nein.



Benjamin Köhler



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